Ungeplante Longävität
Früher …
… war der Fernseher besser.
Ich bin 1972 geboren.
Zwei Wochen vor meiner Geburt wurde in meiner Familie das erste Fernsehgerät angeschafft.
Somit war dieser Fernseher ein fester Bestandteil meines Lebens.
Er war weiß, hatte eindrucksvolle (hinterleuchtete) Anzeigen in Form von Ziffern.
Er zeigte (natürlich!) schon Farbbilder.
Er ließ sich durch Berühren der Kanalanzeige zum Wechseln des jeweils anderen TV-Kanals schalten.
Und er funktionierte gefühlt ewig. Mit Eintritt in die Volksschule lernte ich Familien kennen, die modernere Geräte hatten. Mein Onkel hatte einen Fernseher mit Fernbedienung (wow) und fünf (wow!) Fernsehkanäle.
Aber unser Gerät tat seinen Dienst. Gefühlt ewig. Wirklich?
Tatsächlich nicht.
Beim Umzug in das Haus musste der Fernseher einem neuen Gerät weichen — die Sensortasten funktionierten nicht mehr zuverlässig, und der Kabelempfang für unsere fünf (wow!) Kanäle benötigte auch eine neue Empfangseinheit.
Der neue hatte auch eine Fernbedienung.
Beim Umzug war ich 10 Jahre alt, also wurde auch der Fernseher 10 Jahre alt.
Aber gefühlt war es eben eine Ewigkeit, weil Kindern jede Zeitspanne wie eine Ewigkeit vorkommt.
… waren Autos für die Ewigkeit gebaut.
Wir hatten im gleichen Zeitraum auch vier Autos, ohne dass ich den Eindruck gewann, dass jede Woche eine neue Kiste in der Garage stand.
Jetzt …
Waren früher die Konsumgüter langlebiger, von höherer Qualität, zuverlässiger? Leben wir nun in einer Konsumwirtschaft mit der vielbeschworenen geplanten Obsoleszenz, die jedes Konsumgut komplexer als eine Klopapierrolle nach der gesetzlichen Gewährleistungsfrist in Schrott verwandelt?
… braucht man alle Jahre einen neuen Fernseher?
Wir haben auch jetzt einen Fernseher, und wieder stand ein Umzug ins Haus an, drei Jahre ist das her. Die Senderprogrammierung funktionierte nicht, der vom Kabelnetzbetreiber beschriebene Weg führte nicht zum Ziel. Wie konnte das sein, der Fernseher war praktische neu. War er? Kurz nachgedacht, er war da bereits 12 Jahre. 2 Jahre älter als „mein“ erster Fernseher wurde. Mittlerweile ist jener 15.Applaus, LG.
… ist das Computerzeug schon veraltet, sobald man es ausgepackt hat?
Wir haben noch einen Drucker im Haushalt.
Das Druckaufkommen ist eher gering, deshalb ein Mono-Laser-Multi-Funktions-Gerät.
Inzwischen ist auch dieses Trumm 12 Jahre alt, hat tausende Seiten gedruckt, und zigtausende Seiten gescannt.
Es funktioniert immer noch so gut wie am ersten Tag.Jeder Computer im Haushalt, sogar die Smartphones, haben sich mehr oder weniger problemlos mit dem Gerät verbunden.
Der Hersteller stellt Linuxtreiber zur Verfügung, die problemlos zu installieren sind, wenn man sich etwas auskennt.
Applaus, Brother.
Deswegen gönne ich dem Ding auch originale Verbrauchsmaterialien.
Die letzte Installation des Druckers habe ich vor einigen Tagen auf einem meinem früheren Arbeitgeber abgekauften Laptop durchgeführt.
Microsoft will aus Prinzip auf dem Gerät (Jahrgang 2018 glaube ich) keine aktuellen Windows-Versionen mehr installieren (kein Applaus, Microsoft), deswegen wurde auch dieser Computer auf Linux umgestellt.Das betagte Notebook tut seinen Dienst weiter hervorragend.
Übrigens im Zusammenspiel mit meinem Server im Keller, den ich 2017 für meine Firma gebraucht gekauft hatte (irgendein i3 aus 2012) und inzwischen mit Nextcloud die digitale Familiencloud bespielt.
Diese beiden sind Lenovos (Applaus); allerdings ist mein Standardarbeitsgerät (E15 von 2021) tatsächlich mit einem lächerlichen Serienfehler ausgefallen (Applaus schwindet); somit gibt es auch einen Ausreisser und Klischeebestätiger in dieser Liste.
… sind Autos so komplex, dass sie fehleranfällig und kaum mehr reparierbar sind?
Den Altersrekord in der Liste schafft unser Auto.
Baujahr 2003 fährt es nun schon seit 21 Jahren für uns, und das in der Tat ohne einmal liegengeblieben zu sein.
Zugegebenermaßen ist seit einigen Jahren jede §57a-Inspektion ein Nervenkitzel, da der Ausfall eines Teils, für das kein Ersatz mehr verfügbar wäre, einen Totalschaden bedeuten kann.Bisher ging es aber jedes Jahr gut, wenn auch manchmal mit etwas höheren Kosten.
Applaus, Alfa Romeo, gegen jedes Klischee.
Fazit
Ganz nachvollziehbar ist der Vorwurf nicht, dass unsere Konsumgüter nicht mehr überdauern.
Es wird schon stimmen, dass viel billig produziert wird, auch viel neuer Schrott, sogar dass manche Firmen oder gar Branchen mit geplanter Obsoleszenz liebäugeln, um den Umsatz zu maximieren.
Es könnte aber auch sein, dass oft der Wunsch nach neuem Zeug Vater des Defekt des Altgeräts ist.
Bei den Beispielen hier war jedenfalls in keinem einzigen Fall die Suche nach möglichst haltbarer Ware im Vordergrund.
Die Langlebigkeit war ungeplant, ist einfach passiert.
Umso erfreulicher.
Mit Hang zum Perfektionismus und makellosem Stil geht es natürlich nicht zusammen. Auto, Computer, Drucker, Fernseher — sie alle haben Macken, Dellen und Fehlerchen über die Jahre bekommen, die uns nicht stören. Das ist wohl Einstellungs- oder Geschmackssache.
Abspann
Vor 11 Jahren ist von unserem Handmixer der Einstellhebel (Plastik natürlich) abgebrochen.
Ich wollte schon einen Ersatz kaufen (kost' ja nix), aber da auch meine Frau auf Nachhaltigkeit steht, habe ich mich trotz handwerklicher Unbegabung an einer „provisorischen“ Reparatur versucht:
Holzstück gefeilt, und mit Superkleber an den Mixer gepappt.
Das Provisorium hält bereits 11 Jahre.Ich bin erstaunt, wie gut und lang Superkleber manchmal funktioniert…
Applaus, Loctite.
Und da wäre schließlich noch mein Sonnenhut, den ich im ersten Urlaub mit meiner Frau, 1996, in einem Walmart in einem Vorort von Clevelend für ein paar Dollar erstanden hab…Applaus.