Die Verlängerte Europäische Werkbank
Ich bin Anfang der 1970er geboren, und was Wirtschaftspolitik betraf, da wurde ich von "Made in Austria", einer Fernsehshow zum Thema Produkte aus Österreich, sozialisiert. Die mittleren 70er Jahre also, das war eine Zeit, in der man Produkte aus Österreich international nicht mit einem malerischen Dorf im Salzkammergut (inzwischen steht in China eine Kopie) oder Partituren von Mozart konnotierte, sondern auch mit allerlei tangiblen Produkten der österreichischen Industrie.
Wenig später wurde auch "Made in China" zu einem Begriff. Zurerst nur in Verbindung mit "billig", mit "Plastik", und mit "kopiert". Es war anfangs eine Frage der Stückzahlen: Billig und simpel, dann war es eine Sache für China. Aber wer wollte hat den Trend von Anfang an gesehen: China war nicht zufrieden mit den Happen, die ihnen von den Europäern zugeworfen wurden. Mehr und mehr know-how floss in den fernen Osten. Die Grenzen zwischen Ingenieurskunst und Produktionshandwerk sind keine klaren, und wenn man die Produktion beherrscht, für tausende von Firmen aus dem Westen, dann wird die Wertschöpfung immer tiefer, dafür wäre noch nicht einmal eine grandiose Strategie nötig.
Nichtsdestotrotz schuf Europa die beruhigende Geschichte von der "verlängerten Werkbank China."
Beruhigend für sich selbst, dass China nur ein "sweat shop" sei, ethisch vielleicht zweifelhaft, aber das ist auch schon alles. Wenn wir den Stecker ziehen, dann sind wir wieder obenauf, und die Chinesen können sich wieder Vollzeit mit dem Reisanbau beschäftigen.
Reales Wirtschaftswachstum beruht auf Erhöhung der Produktivität für reale Güter oder Diensleistung -- derjenigen, die den Menschen direkt zugute kommen.
Der über Jahrtausende stabilste Weg ist die Effizienzsteigerung durch technische Automatisierung, seit Erfindung von Speer und künstlichem Feuer; die Ingeineurskunst.
Dann gibt es aber auch die Möglichkeit, die anfallende Arbeit durch andere Menschen ausführen zu lassen, sich selbst die Zeit zu sparen.
Man kann diese Menschen angemessen dafür entlohnen (Neudeutsch "Outsourcing") oder sie zur Arbeit zwingen (Sklaverei).
Es gibt auch beliebige Mischformen davon.
Solch eine Mischung sollte die verlängerte Werkbank China sein.
China will für seine Leistung natürlich eine adäquate Gegenleistung, Versklavung lässt sich, vor allem auf staatlicher Ebene, niemand freiwillig auferlegen. Wenn China durch Lernen aus dem Produktionsprozess und auch durch Kauf europäischer Unternehmen (sowie auch weniger feinen Methoden wie Industriespionage) den Anteil Europas an chinesischem (!) Konsum minimiert, was könnte dann China dazu bringen, überhaupt noch Güter nach Europa zu exportieren?
Aber wir bezahlen ja schließelich dafür. Mit Geld. Wenn man aber die Natur des Geldes zu ihrem Ursprung zurückverfolgt, dann bleibt nur mehr seine Funktion als Vermittler für den leichteren und effizienteren Austausch von Ressourcen (Rohstoffe, Wissen, Arbeitskraft).
Europa hat
- wenig Rohstoffe
- immer weniger exklusives Wissen
- einige hundert Millionen Menschen als Arbeitskraft.
Den ersten Punkt können wir nicht ändern, den zweiten verspielen wir gerade, bleibt nur mehr die Bevölkerung Europas übrig. Das wäre dann eine für uns dystopische Umkehrung der bisherigen Machverhältnisse, Europa als Werkbank Chinas. Aber wer weiss, ob die Automatisierung es für so eine große Volkswirtschaft wie China Arbeitskraft außerhalb des eigenen Reiches überhaupt nötig macht.
Aber wir bezahlen doch! Die Finanzinstitutionen sind eng verwoben, durch Staatsbanken, Privatbanken, Fonds u.s.w. Sollten wir uns drauf verlassen, dass China europas Finanzindustrie benötigt? Abgesehen davon, dass unsere Finanzindustrie für sich schwach ist (siehe Krise 2008), wird China sehr wohl unterscheiden können, was sie tatsächlich von Europa benötigen. Durchaus möglich, dass große europäische Banken auch chinesische Institue in den Abgrund reissen können -- aber was würde das dem riesigen China ausmachen? In unserer freien Welt wird die Realwirtschaft enger an die Finanzwirtschaft gekoppelt sein. Wenn ein Produktionsunternehmen seine Liquidität verliert und keine Löhne auszahlen kann, wird die Arbeit niedergelegt und das Unternehmen geht Pleite. In China ist vieles zentral lenkbar. Arbeiter gehen arbeiten wenn die Partei es befiehlt. Und die Partei wird auch dafür sorgen, dass die Einwohner mit dem nötigsten versorgt werden, solange die Grundversorgung -- mit Lebensmitteln, Energie, Infrastruktur -- autark im Land erwirtschaftet werden kann.
Wenn Europa sich darauf verlässt, dass allein sein Konsum oder seine Finanzindustrie ihm seinen Platz im Wohlstand sichert, dann gibt es ein böses Erwachen. Ein Produzent will eine Gegenleistung vom Konsumenten. Im betriebswirtschaftlichen Sinne mag das Geld sein, Volkswirtschaften lass sich mit leeren Euros nicht abspeisen. Wenn Europa sich nicht auf seine Tugenden zurückbesinnt, und mit Ideen und Ingeineurskunst punktet, wird es verarmen, von seinen Rohstoffen kann es nicht gut leben.