Gelesen: Verborgene Universen, von Lisa Randall
In der 7. Klasse Gymnasium gab es die Wahl zwischen Physik und Darstellender Geometrie.
Die Wahl fiel mir nicht einfach.
Geometrie ist ein wunderschönes Gebiet der Mathematik, aber das war nur ein Grund für die Entscheidung.
Der andere war, dass mich die Physik zu jener Zeit etwas frustrierte.
Nicht etwa, weil ich sie langweilig empfand.
Ganz im Gegenteil, ich fand sie höchst faszinierend und inspirierend, gerade hatten wir in der 6. Klasse Einsteins Relativitätstheorie durchgenommen.
Die Erkenntnis, dass „da draußen“ noch viel mehr war als das unmittelbare Erleben erahnen ließ, war unglaublich interessant.
Aber zur Faszination gesellte sich das Gefühl des Unverständnisses.
Die Erklärtexte wiedergeben zu können, oder Werte in Formeln einzusetzen, das reichte mir nicht.
Ich wollte das Thema durchdringend verstehen, und das gelang mir leider nicht.
Das war 1988.
Etwas später, bereits an der Uni, interessierte ich mich für die Quantentheorien. Es revolutionierte mein Verständnis vom Verständnis. Somit verstand ich rein gar nichts mehr.
Das Thema ist aber viel zu verlockend, um die Finger davon zu lassen.
Ich vermute um 2015 herum hab ich mir dann dieses Buch besorgt.
2022 der nächste Versuch, Verständnis herzustellen:
Diesmal gleich in den harten Kern mit „Görnitz, Thomas; Quantentheorie verstehen1“.
Denn auch wenn der Autor hier in strengem Ton erklärt, dass die Gebiete der modernen Physik mystifiziert seien,
und die Sache ja gar nicht so kompliziert wäre, für den Laien macht das die Sache nicht besser.
Und so hab ich nach 80 Seiten jenes Buch zur Seite gelegt und ebenso auf später verschoben — etwas, das ich ansonsten selten mache.
Aber es wird wieder kommen.
Da erinnerte ich mich wieder an das Buch von Lisa Randall, und ich hoffte, dass es diesmal etwas populärwissenschaftlicher zuging. Tut es auch.
Das Buch ist leichter zu lesen als das reine Fachbuch. Jedes Kapitel startet mit einer Rahmengeschichte, als Hommage an A. Sqaure's „Flatland2“ und Carroll's „Alice im Wunderland“ . Diese Geschichte als Begleiter – sowie die Zitate aus Liedtexten am Beginn jedes Kapitels – ist sicherlich Geschmackssache; für mich ist es eher kein Mehrwert, oder hilfreich für die Erklärungen, gewesen.
Nichtsdestotrotz hilft es, die Materie (den Raum?) etwas zu lockern, denn natürlich handelt es sich hier um starken Tobak.
Das Buch gibt einen Überblick über die moderneren Ideen der Physik (zum Stand kurz nach der Jahrtausendwende) und ihrer aktuellen Rätsel.
Wenn man davor naive Vorstellung gehabt hätte, dass es in den grundlegenden Strukturen hübsch simpel zugeht, dann wird man hier deutlich umerzogen.
Jede Menge Teilchen, ihre mehr oder weniger realen supersymmetrischen Partner, Dimensionen, Branen, Wechselwirkungen, Engergieniveaus
— die Vielfalt ist beeindruckend.
Aber auch überwältigend.
War es bisher der Teilchenzoo, dessen Dunning-Kruger-Effekt („Die Welt besteht aus Neutronen, Protonen und Elektronen3“) den Glauben an das eigene Wissen entzaubert hatte,
so bekommt die Unwissenheit hier noch mehr Raum, mehr Dimensionen.
Und nicht nur Raum, sondern auch Grenzen in Form von weiterem Raum mit etwas weniger Dimensionen.
Branen gibt es in verschiedenen Formen und Größen und in unterschiedlicher Gestalt. Wir haben uns bislang zwar auf Branen als die Orte konzentriert, an denen Strings enden, Branen selbst sind aber unabhängige Objekte, die mit ihrer Umgebung wechselwirken können. (S. 352)
Branen als Objekte des Raums wechselwirken nun mit anderen Objekten des Raums. Ob es ein elegantes Universum ist? Ich kann das nicht behaupten. In den ersten Kapiteln des Buches wird das Standardmodell der Teilchen ausführlich erläutert. Viele Teilchen und ihre Klassifizierung, entdeckte und nur vermutete (Das Higgs-Boson wurde ja mittlerweile im LHC-Experiment bestätigt). Die Dualität von Welle – Teilchen, von Energie und Materie ist man ja bereits „gewöhnt“, nun kommt auch noch der Raum ins Spiel, auch Raum verhält sich … wie ein Teilchen. Unglaublich. Materie — Energie — Raum: Alles hat ein gemeinsames Wesen, ist ineinander umwandelbar?
Fest gewickelte Branen können wie Teilchen agieren. Eine aufgewickelte p-Brane, die sich wie ein Teilchen verhält, kann man mit einem festgezogenen Lasso vergleichen: Genau wie eine Seilschlaufe winzig wird, wenn man sie fest um einen Pfosten oder das Horn eines Bullen zieht, kann sich eine Brane eng um eine kompakte Raumregion legen. (ebenda)
Alles klar?
Populärwissenschaftliche Bücher helfen mit Bildern aus der bekannten Welt,
aber in diesem Fall ist das ein Tropfen auf den heissen Stein des Wissens.
Einer Antwort auf die Frage nach dem Sinn bringt einen dieses Buch nicht näher. Aber das ist auch nicht die Aufgabe der Physik …
https://www.hanser-fachbuch.de/fachbuch/artikel/9783446480261 ↩︎
Dann gibt es vielleicht noch ein paar Dinger, die aus der Science Fiction bestens bekannten Photonen, die Neutrions — und dann hörte man noch von Quarks. Up. Down. Bottom. Charm? Strange?? Man kennt auch das Higgs-Teilchen. Aber das war's jetzt wirklich, richtig?4 ↩︎