Wir brauchen für Meinungen einen Markt
Medien, Fakten und Meinungen
Die Trennung von Fakten und Meinungen wird von traditionellen Medien völlig gerechtfertigt als journalistische Grundregel vorgestellt. Wie gut das im einzelnen gelingt, mag dahingestellt sein. Ich halte es für kaum möglich, die Trennung perfekt vollziehen zu können. Etwa wenn man sich klar macht, dass allein die Auswahl an Fakten, die man bringt – und welche man nicht bringt, eine Meinung darstellt.
Gerade in den sogenannten Demokratien westlicher Prägung ist die Hoheit über die erzählten Geschichten wild umkämpft. In Westeuropa hatten die Leitmedien, allen voran die Öffentlich Rechtlichen, das stärkste Gewicht beim Bilden eines konsensualen Weltbildes der Bevölkerung. Dennoch gab es eine vielfältige Medienlandschaft — Parteien hatten ihre Parteiblätter, Verlegerfamilien aus verschiedenen Bereichen des politischen Spektrums hatten ihre Zeitungen. Diese konnten sich aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (Verkauf an Leser, privatwirtschaftliches Inseratengeschäft) finanzieren.
Probleme des medialen Geschäftsmodells
Der Verlust von Einkommen durch „Gratismentatlität“ setzte bereits in den 1990er Jahren im Mediengeschäft ein.
Kostenlose Zeitungen, verteilt beispielsweise in den Stationen des öffentlichen Nahverkehrs, zogen Mittel am unteren Ende des journalisten Leistungsspektrums ab.
Diese Medien leben, wie das kostenlose Fernsehen, lediglich durch Werbeflächen.
Ein Effekt ergibt sich ebenso aus diesem Konsumverhalten: Die Medienkonsumenten werden vom Kunden zur Ware.
Weiters, um diese Zeit stiegen auch die Ausgaben der kommunalen und kommunal gesteuerten Organisationen,
und wurden mehr und mehr zu einer Haupteinnahmequelle der Medien.
Konzentration, alle miteinander
Das Internet hat die Spielregeln weiter massiv geändert:
- Lokalität spielt kaum eine Rolle mehr. Wo die Informationen erfasst werden und wo sie konsumiert werden ist geographisch völlig entkoppelt. Allenfalls der Sprachraum bildet eine Grenze.
- Skaleneffekte fördern die Zentralisierung. Wenn die Lokalität nur mehr eine untergeordnete Rolle einnimmt und die Kosten der Verteilung fast keine, dann führt das zur Bildung von Oligopolen oder gar Monopolen in der Medienwelt.
Fakten
In einem Teilbereich der Medien ist die Monopolbildung bereits fast abgeschlossen: Bei Lexika.
Das Wort ist im Plural fast nicht mehr zutreffend, da am „Markt“ der universellen Lexika ein Anbieter absolutistisch herrscht: Wikipedia
Das Modell der partizipativen Mitwirkung aller dazu Berufenen ist bestechend.
Der Erfolg der Wikipedia Initiative ist berauschend.
Aber eines war damit auch klar:
Wo es Interessen gibt, gibt es Begehrlichkeiten.
Bei Amazonasfröschen oder Gravitationswellen sind diese Begehrlichkeiten vermutlich ebenfalls nicht null, aber Fakten und Meinungen klarer voneinander getrennt, und eine Vermischung von beiden ist als Geschäftsmodell nicht effizient.
Anders sieht es bei „Fakten“ zum Ukrainekrieg, zur Coronapandemie oder zum menschengemachten Klimawandel aus.
Fakten zu diesen Themen sind tatsächlich umstritten, aber es gibt eine starke Interessenlage, Behauptungen in diesen Themengebieten als Tatsachen definieren zu können.
Ähnliches gilt für politisch exponierte Personen, wo der Ruf dieser Personen oft von Wikipedia mitgestaltet wird. Dass jemand „umstritten“ ist, ist formal eine Tatsachenbehauptung, aber es wird im derzeitigen rhetorischen Klima niemand „leugnen“ (ebenso ein aufgeladenes Wort), dass es sich um eine wertende Aussage (=Meinung) handelt.
«Man nimmt alles raus, was facheinschlägig ist von mir; man nimmt alle positiven Rezensionen auch raus, ersetzt sie durch negative und möchte mich sozusagen ganz weit weg von diesem Thema positionieren und dann noch mit schlechten Rezensionen eindecken. Man gräbt in meiner Vita offensichtlich Tag und Nacht.» (Clemens G. Arvay, aus meerstern.de, Zum Tod von Clemens G. Arvay)
Man sieht — auch eine universelle Enzyklopädie kann niemals nur aus Fakten bestehen. Deshalb ist auch hier Vielfalt, ein Markt, notwendig, um das Wissen zu vermehren und zu erhalten.
Meinungen
An einem anderen Teilbereich des Medienuniversums sieht es nicht viel anders aus:
Medien, die sich in ihrer Natur eher auf den Austausch von Meinungen spezialisiert haben, „Social Media“, haben einen Konzentrationsprozess erfahren.
Bis 2010 gab es im jungen Web eine Vielzahl von Foren, auf verschiedenen technischen Plattformen, wo zu jedem erdenklichen Thema Menschen diskutierten.
Mit facebook setzte auch in diesem Segment eine Zentralisierung ein.
Aus gleichem Haus, mittlerweile hat der Konzern den namen „Meta“, folgen Instagram und Threads.
Twitter startete etwas später, mit etwas kleinerer Nutzerbasis, aber ebenso starker medialer Präsenz.
Mit dem Siegeszug der Videos kam YouTube und danach TikTok als Meinungsmagneten.
Es gibt in diesem Bereich durchaus noch sehr viele kleinere Angebote (beispielsweise am Markt der „Podcasts“), für die magische Reichweite kommt man aber an den großen Plattformen mit ihren neun- bis zehnstelligen Nutzerzahlen nicht vorbei.
Kontrolle von Fakten & Meinungen
Mit der Kommunikationsstrategie zu Corona, zum Ukrainekrieg, zum menschengemachten Klimawandel hat sich gezeigt, dass die Konzentration ausreicht, um die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mit einer gesteuerten Geschichte auszustatten. Unabhängig davon, ob die Geschichten jeweils die richtigen sind, ist eine derartige Konzentration von Macht Gift für die Kultur, Gift für die Demokratie.
Der Kauf von Twitter, jetzt X, durch Elon Musk hat in der Medienwelt einiges an Wirbel erzeugt.
Von den einen, hauptsächlich den traditionellen Leitmedien, als Dämon der Falschinformation bezeichnet, von den anderen als Erlöser von Zensur, hat er, angeblich, die Fesseln der Inhaltsmoderation von der Plattform geschnitten.
So schien es zumindest bei vielen Kontroversen Themen.
Aber weder verfolge ich die oben erwähnte Diskussion im Detail, noch kann ich die Algorithmen von X (immerhin sind sie Open Source) beurteilen. Aber eines zeigt der Unmut: Sich auf einzelne technische Plattformen oder gar einzelne Personan als Heilsbringer der Meinungsfreiheit zu verlassen, das ist eine fatale Strategie. Egal wie gut die Intention der Initiatoren sein mag, je gewichtiger, je einflussreicher die Plattform ist, desto größer die Begehrlichkeiten, und irgendwann wird jeder Schutz gegen totatlitäre Meinungsverengung geknackt werden.
Was tun?
Plattformvielfalt
Skaleneffekte und Zentralisierung kommen nicht von ungefähr:
Es senkt die Kosten und es ist bequemer für die Nutzer.
Nur eine Plattform zu verwenden anstatt zig verschiedener ist wirklich praktisch.
Doch sollte uns gerade hier Vielfalt etwas Mühe wert sein.
Für unsere Kultur, für unsere Demokratie.
Es ist dabei tatsächlich nicht nötig, große Plattformen zu verlassen, oder diese gar zu bekämpfen.
Jede neue Plattform ist eine Bereicherung, auch wenn der Grundtenor des dortigen Publikums Dissonanzen im eigenen Ohr erzeugt.
Ob diese Plattform „Truth Social“ oder „Bluesky“ ist, wie in der guten alten Zeit die Parteizeitungen es ist echte Diversität zu begrüßen für die Meinungsvielfalt.
Logischerweise ist auch die direkte Untestützung von kleineren Plattformen durch Spenden oder Abonements ein sinnvoller Markteingriff durch die Medienkonsumenten — die dann auch wieder Kunden sind.
Eigene Daten
Für sehr interessierte Menschen, die nicht nur Kunde oder gar nur Ware sein möchten und selbst Inhalte bereitstellen, ist es noch besser, die eigenen Daten, seine eigene Meinung auch möglichst weit unter Kontrolle zu behalten. Das heißt, eigene Inhalte möglichst nicht anderen zu überantworten, sondern sie selbst verbreiten zu können, mögen sie auch unpopulär sein.
Als Beispiel möchte ich hier Larry Sanger – immerhin Mitbegründer der Wikipedia – nennen, der genau dies tut:
Aber solange es genug Plattformen für die verschienenden Meinung gibt, ist das auch kein Problem.
Die moderne Zeit gebietet, sich bei seiner Meinungsbildung nicht auf nur wenige Leute zu verlassen.