derstandard.at: "Sexismus in der IT-Branche: Ein Lehrbeispiel"

Spannungen zwischen der IT und all den anderen Mitarbeitern eines Unternehmens hat wahrscheinlich jeder schon von der einen oder der anderen Seite erlebt. Die EDV wird oft als Bedrohung empfunden, als Job-Killer, als undurchschaubare und schwer beeinflussbare Größe des eigenen Arbeitslebens. Die Komplexität hinter scheinbar einfachen Wünschen und deren Lösungen spielt sich hinter den Kulissen ab, was die damit befassten Mitarbeiter als unwillig, manchmal sogar als faul erscheinen lässt. Meistens ungerechtfertigt.
Auf der anderen Seite nutzen manche Kollegen von IT Abteilungen ihre Macht aus, die sie durch die in den letzten Jahrzehnten gewaltige Durchdringung fast jedes Arbeitsplatzes mit Informationstechnologie gewonnen haben. Sie sind unwillig, manchmal sogar faul und verstecken sich hinter dem Informationsvorsprung, hinter der Tatsache, dass dann doch niemand so genau ihre Arbeit versteht – und auch gar nicht verstehen will.

So befetzen sich beide Seiten, mehr oder weniger elegant choreographiert; so weit, so menschlich. Jetzt bekommt die Non-IT-Seite aber ein neues Druckmittel im moralischen Kampf in die Hand: Wie viele andere technische Branchen (Montanistik, Kfz-Werkstätten, Hoch-/Tiefbau) arbeiten überwiegend Männer in dieser Branche, zumindest in den Kernbereichen. Warum das so ist, weiß niemand genau, es gibt mehrere Theorien; auf der einen Seite wird plump mit einem Biologismus argumentiert — die Komplexität sei zu hoch für ein Frauengehirn. Auf der anderen Seite wird dafür die ebenso plumpe neue Massenvernichtungswaffe im Moralkrieg in Stellung gebracht: Der Sexismus der männlichen IT-Mitarbeiter hält Frauen aus der Branche draußen.

In meiner inzwischen schon langjährigen Karriere in IT Unternehmen habe ich verschiedene Unternehmen mit verschiedenen Unternehmenskulturen kennenlernen dürfen. In keinem der Unternehmen habe ich ein Klima erlebt, das Frauen ferngehalten hätte. Im Gegenteil, ALLE Unternehmen haben motiviert versucht, ihren Frauenanteil zu erhöhen, und oft genug wurden Frauen bevorzugt eingestellt, manchmal auch trotz zumindest gefühlter geringerer Qualifikation. Natürlich haben es Frauen oft nicht leicht als Minderheit, das hat aber nichts damit zu tun, dass sie von den Männern nicht gewollt werden, sondern ist auf die gesteigerte Aufmerksamkeit zurückzuführen, die sie durch ihren Exotenstatus bekommen. Manche Männer können damit gut umgehen, manche werden aber tatsächlich lästig. Aber einem jungen männlichen Volksschullehrer geht es durchaus nicht anders.
Natürlich werden in reinen Männergesellschaften blöde Witze gerissen und peinliche Sprüche geklopft. Aber wer meint, es geht in reinen Frauengesellschaften prinzipiell anders zu, der sollte seine Scheuklappen ablegen. Das ist auch ein guter Grund, der für gemischte Teams spricht, betrifft aber eben nicht nur Männer.

Was ist nun tatsächlich passiert, worüber die online Ausgabe von Der Standard so prominent berichtet? Nun, genaues weiß man nicht. Die Zeitung macht sich nicht die Mühe, etwas Detailliertes über den Vorfall zu recherchieren, man bekommt nur die Information es gehe um sexistische "Scherze". Jedenfalls hat eine Teilnehmerin (als PR-Beauftragte eines IT-Unternehmens) der Software-Konferenz PyCon zwei männliche Teilnehmer belauscht und musste so für sie unangenehme Aussagen mitanhören. Danach fotographierte sie die beiden Männer und veröffentlichte das Bild gemeinsam mit einer Beschwerde über Sexismus auf Twitter.
Nach etwas oberflächlicher Recherche bekommt man die Information, dass es wohl um einen Vergleich zwischen Steckern von technischen Geräten und primären Geschlechtsorganen (ob männlich oder weiblich ist nicht klar) geht, auch der softwaretechnische Begriff "fork" spielt eine Rolle, der Urheber der Aussage bestreitet aber einen sexuellen Hintergrund seiner Aussage, und meint, die Frau hätte diesen selbst hineininterpretiert. Danach, wie bei Verknüpfung von "Twitter" und "Sexismus" leider schon gewohnt, wurde eine mediale Lawine losgetreten, die Spinner mit verschiedensten Meinung eine Öffentlichkeit geboten hat und leider auch zur Kündigung von zwei der drei Beteiligten geführt hat; darunter auch der Aufdeckerin des gefühlten oder wirklichen Sexismus.

Die Sager der beiden Bartträger mögen nun mehr oder weniger schlimm sein, aber das ungeprüfte Übernehmen solcher Vorwürfe und Aufbauschen von schalen Witzchen als Frauenfeindlichkeit gleich in der ganzen Branche finde ich schäbig von Der Standard. Eine nicht mal extreme Aussage zweiter Männer auf einer amerikanischen Softwarekonferenz als "Lehrbeispiel" für die IT-Branche darzustellen, empfinde ich als Teil dieser Branche diffamierend und niveaulos.

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