Gelesen: Der Crash des Kapitalismus, von Ulrich Schäfer

Mit etwas Skepsis bin ich an das Buch herangegangen: Erwarten mich polemische Binsenweisheiten die man auch in Leserbriefen von Klein- und Großformaten finden kann, oder ist hier etwas Neues zu lernen? An sich klingt es ja durchaus interessant, ein Buch das im ersten Schock des Börsencrash von 2008 geschrieben wurde zu lesen, wie war der Standpunkt damals, was ist an Prognosen eingetreten?

Der Titel des ersten Kapitels "Kapitalismus am Abgrund" lässt nichts gutes erahnen. So in etwa kommt es auch, eine Abhandlung über Ungleichverteilung von Einkommen und Besitz — durchaus interessant, aber in den gleichen groben Zahlen, die ich aus vielen Artikeln bereits kenne. Dass die obersten zehn Prozent einen Großteil von Kapital und Sachwerten untereinander aufteilen ist nicht wirklich neu.

Das Goldene Zeitalter, das die westlichen Industrieländer seit den späten neunziger Jahren erlebt haben, ist Geschichte. Aus. Vorbei. Beendet. Im Herbst 2008 ist diese Ära des Glücks abrupt zu Ende gegangen. Der Finanzmarkt ist zusammengebrochen, der Traum vom ewigen Wohlstand zerplatzt.

schreibt Schäfer. Der gehämmerte Weltuntergangsstil ist leider typisch für das Buch, obwohl der Inhalt das keineswegs notwendig macht, der spricht für sich. Auch inhaltlich kann ich keinesfalls nachvollziehen, wieso der Traum vom ewigen Wohlstand zerplatzt wäre, weil der Finanzmarkt zusammengebrochen ist. Zerplatzt ist vielleicht der Traum vom ewigen Wachstum, aber auch das sollte einen vernünftig nachdenkenden Menschen nicht erschüttern.
In ähnlichem Stil geht es weiter, die Komplexität der globalisierten Welt wird beschworen, so wie die aufgehenden Scheren bei Einkommen, Bildung, Macht. Soweit so traurig und so bekannt. Am Schluss geht es um die Ohnmacht der Politik, die laut dem Autor die Macht an die Konzerne abgegeben hätte, an den entfesselten Markt. All dies wird ohne Belege oder Beispiele geschrieben, ich teile diese Meinung auch nicht. Die politischen Rahmenbedingungen haben sich nicht so wesentlich geändert, sehr wohl aber die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, in der wirtschaftlich sehr stark und politisch sehr schwach globalisierten Welt. Die Politik ist auch nicht ohnmächtig, sie vertritt nur ihre eigenen Interessen.

Im folgenden werden wesentliche Aspekte beleuchtet, die in den Ereignissen des Jahres 2008 kumulierten: Der Aufstieg (wie auch die Krisen) der Schwellenländer, die sogenannte New Economy in der dot.com-Blase, die Deregulierungswellen der Finanzmärkte mit der folgenden Dominanz des Wirtschaftslebens.
Der Untergang der Investmentbanken 2008 wird bildreich erzählt; mit wortgewaltiger Sprache und mal mehr, mal weniger relevanten Anekdoten wird das Scheitern von Bear Stearns, Lehman Brothers und Merrill Lynch beschrieben.

Schäfer schließt mit einem "Programm gegen den Absturz" (danach kommt nur ein kurzes Ausblickskapitel), 22 Regeln als Anleitung für die Politik. Thematisch decken diese Finanzmarktregulierung, allgemeine Wirtschaftspolitik, Steuerpolitik, Arbeitsmarktliberalisierung, Sozialstaat und Bildung ab. Alles in allem nichts allzu überraschend, aber aus meiner Sicht vernünftig und in der Theorie des Ordoliberalismus.

Wer einen Überblick über Fehlleitungen in der globalen Wirtschaftsgeschichte der letzten zwei oder drei Jahrzehnte sucht – öfters greift Ulrich Schäfer auch bis zur großen Rezession 1929 zurück, findet in diesem Buch eine Menge an Information. Schade dass oft an wesentlichen Stellen Details und Erklärungen fehlen; anstatt zig Male über die Toxizität des Derivatenmarktes zu lamentieren wäre eine Erörterung hilfreich, was diese Toxizität denn überhaupt ausmacht.
\tSchade auch, dass der Stil allzu oft an Billigromane erinnert ("Sie haben alles versucht. Sie haben um jeden Halbsatz gekämpft, um jedes Wort. Über Wochen, Monate, Jahre. Neun Tage haben sie [..]"). Denn trotz einiger kleiner inhaltlicher und typographischer Fehler gibt das Buch doch einen lesenswerten Einblick für "Krisenanfänger" und solche, die noch immer blind dem Markt vertrauen.

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