Gelesen: Ein anarchistischer Bankier, von Fernando Pessoa

BucheinschlagDie kurze Erzählung schrieb Pessoa im Januar 1922. Sie besteht hauptsächlich aus dem dem Monolog eines erfolgreichen – und wohl nicht zimperlichen – Bankiers, kurz unterbrochen von Zwischenfragen und erstaunten Ausrufen des eigentlichen Erzählers. Thema ist die politische Wandlung eines Arbeiteraktivisten zum reichen Tyrannen unter Beibehaltung dessen philiosophisch-moralischer anarchistischen Grundeinstellung. Der Bankier erklärt in einer langen Kausalkette, warum sein Weg der einzig mögliche in die gesellschaftliche Freiheit sein kann.
Er benutzt dabei einige Postulate, die die Absurdität einer organisierten anarchistischen Bewegung zeigen:

  • Die Natur des Menschen ist seine Freiheit.
  • Somit bestimmen angeborene Eigenschaften sein Wesen: "Wenn jemand zum Sklaven geboren wird, so wäre die Freiheit [..] für ihn Tyrannei." (s. 61)
  • Durch diese Unterschiede kann keine klassenlose Gesellschaft existieren, nur eine Gesellschaft frei von künstlichen "Fiktionen".

Fernando Pessoa (oder zumindest der anarchistische Bankier) macht sich somit etwas lustig über die naiven Versuche der organisierten Anarchisten und der wohlmeinen Sozialisten, die es nicht einmal in ihren Keimzellen schaffen, eine klassenlose Gruppe zu bilden. Somit geht der Protagonist in die einzige für ihn mögliche Richtung zur Vermehrung der Freiheit in der Gesellschaft, dessen Teil er ist.

Für mich ist dieses Buch eine Aufforderung zu Ehrlichkeit und Vernunft in der politischen Debatte, vor allem an dogmatische Denker. Es zeigt sehr schön, wie gut gemeinte Dogmen von Freiheit in Wirklichkeit einem (natürlichen!) Raubtierkapitalismus das Wort reden. Unbedingt lesenswert.

Ein Satz noch zur Ausgabe: Die Serie "Schönes Buch im roten Tuch" (SALTO) des Wagenbach Verlags ist tatsächlich sehr ansprechend — schade nur, dass die am Einschlag aufgedruckten Buchstaben nicht sehr haltbar sind.

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