Gelesen: Fiasko, von Stanislaw Lem

Einband "Fiasko", Suhrkamp Verlag

Und wieder LEM. In meinem frühen Leben dachte ich, dass es wohl ohne Sinn und Kitzel sein müsste, Science Fiction zu lesen, die vor Jahrzehnten bereits geschrieben wurde. Bei dem Wahnsinnsfortschritt der Menschheit, was kann da noch an neuem zu finden sein, in einem alten Schmöker?

Und dann noch ein europäischer - präziser, schlimmer noch: polnischer - Autor. Wo doch das Mekka moderner Hochtechnologie ein Monopol auf Geschichten aus der Zukunft zu haben scheint. Aus dem Polnischen in's Deutsche. Es war tatsächlich gewöhnungsbedürftig für mich, Stanislaw Lem zu lesen, Polnisch kann ich leider nicht, also Deutsch. Nach einiger Zeit und einigem Nachdenken setzte sich dann aber doch die Erkenntnis durch, dass "Rakete" nicht lächerlicher klingt als "star ship", "Lichtwerfer" als "photon torpedo", "Sideraltechnologie" als "laser sword".
Als mit amerikanischen SciFi Stories, meist verkürzt in Film und Fernsehen, in seiner Kindheit und Jugend sozialisierter bleibt nur leider ein gewisser leichter Geschmack des Antiquierten, den ich mit meinem begrenzten Intellekt nicht besiegen kann; aber dafür kann der Autor nichts. Jedenfalls finde ich die deutschen Übersetzungen seiner Bücher sehr schön, am meisten gefallen hat mir diesbezüglich übrigens "Der Unbesiegbare".

Ich ordne "Fiasko" ein zwischen dem mythischen "Solaris" und dem sehr handfesten und nüchternen "Der Unbesiegbare". Es geht um eine sehr konkrete Mission, das Verhalten der zu Missionierenden ist aber verstörend. Auch der sehr lange Epilog und ein phantastisches Interludium trugen zu meiner Verwirrung bei; letzteres erinnerte mich an den Film "Phase IV". 
Wie in vielen anderen Büchern von Stanislaw Lem ist die Science Fiction nur eine hübsche Pappschachtel in dem die noch viel interessantere Social Fiction eingepackt ist. Ist der Weg unserer Gesellschaft nur einer von vielen, und wie kann es weitergehen, wird es überhaupt weitergehen? In "Rückkehr von den Sternen" ist eine mögliche Zukunft der Menschen skizziert, in "Fiasko" ist es eine außerirdische Gesellschaft, die die menschliche Neugier weckt. Die menschliche Technik ist anscheinend überlegen, zumindest durch eine Schlüsseltechnologie, die auch in Form militärischer Schlagkraft unsere lieben Mitmenschen unangreifbar macht.

Die Menschheit kommt in dieser Geschichte aber nicht mit einer Eroberungsflotte, um einen fremden Planeten zu entvölkern (Independece Day), die lokale Bevölkerung abzuernten (Krieg der Welten) oder gar wegzusprengen (Hithhiker's Guide to the Galaxy). Ein einzelnes Raumschiff kommt in ganz Star Trek-ischem Frieden und enthusiastischer wenn auch professioneller menschlicher Neugier. Eine interplanetarische Freundschaft ist das erklärte Ziel.

Leider ist der Wille zur Kontaktaufnahme ein menschlich einseitiger, die fremde Zivilisation ist sperrig und stur. In einem epochalen und planetaren Kraftakt hat die Menschheit ein Raumschiff durch die Galaxie gesendet und nun soll das einzige Ergebnis ein paar kaputte eingefangene Satelliten, das Erlebnis eines Beschusses und der Blick auf einen wolkenumhüllten Planeten sein?

"Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ —
(Johann Wolfgang von Goethe, Der Erlkönig)

 

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