Gelesen: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt, von Peter Kropotkin

Aufmerksam geworden bin ich auch dieses Buch durch Zahlreiche Erwähnungen als ein Standardwerk zum Thema Anarchismus, eine Gesellschaftsform, dessen Theorie ich zugegebenermaßen noch nicht verstanden habe.
Gleich vorweg, auch dieses Buch hat mir zum Thema Anarchismus wenig neue Erkenntnisse gebracht. Der Autor bringt in seinem Werk eine Menge interessanter Beispiele um zu belegen, dass sowohl bei Tieren als auch bei Menschen die Zusammenarbeit mehr Vorteile bringt als der Kampf, die Konkurrenz. Er weist darauf hin, dass die Interpretation des Darwinismus als der bloße Kampf ums Überleben nicht die Intention von Darwin war, sondern "Stärke" durchaus auch oder sogar vor allem die Stärke von Kooperation ist. Dieses Prinzip ist einleuchtend, und es ließe sich in der Tierwelt noch viel weiter zurückverfolgen — zur Entstehung der Mehrzeller selbst, deren Entstehung ja auch der gegenseitigen Hilfe geschuldet ist.

Trotzdem ist die streckenweise simple Aufzählung von Beispielen als politische Aussage nur dünn. Es ließe sich diesem Buch leicht ein anderes voll mit Kampf, Grausamkeit und Krieg gegenüberstellen. Beides existiert, wahrscheinlich unbestritten, und was von beiden vorherrscht, ist gar nicht so wichtig.

Viel interessanter ist ein ander Aspekt des Buches: Kropotkin schreitet in seinen Kapiteln mit der Höhe der Entwicklungsstufe sozusagen in der Zeit voran. Vom einfachen Tierleben bis zu deren komplexeren Organisationen, von prähistorischen Clans über Dorfmarken zu Gilden und Arbeitervereinigungen. Mit der steigenden Komplexität steigen wohl auch nach Beobachtung des Autors die notwendigen Regeln. Während im Ameisenstaat jede Arbeiterin gleich ist, sind die Gilden doch schon nicht mehr so einfach organisiert und beinhalten Hierarchie – ich würde diese Organisation nicht unbedingt als anarchisch bezeichnen. Aber während bei jener noch oft kommunaler Gemeinschaftsbesitz vorherrscht, so werden diese gemeinverwalteten Einheiten später mehr und mehr zurückgedrängt, beispielsweise durch Fürstentümer oder später im Nationalstaat.
Das heisst, irgendwo gibt es eine Grenze, wo die Organisation für einzelne nicht mehr überschaubar ist und deshalb gemeinsame Kontrolle unmöglich wird. Über diese Grenze hinaus wird Machtmissbrauch und Korruption immer gefährlicher.

Wo Peter Kropotkin hofft, dass sich gegenseitige Hilfe tatsächlich über die gesamte Menschheit ausbreiten kann, hat Leopold Kohr in seinen Büchern diese Grenzen gesehen, das war aber auch ein halbes Jahrundert und zwei Weltkriege später. Die Hoffnung, dass sich eine großer Nationalstaat der modernen Art, mit all seiner Arbeitsteilung, gemeinschaftlich und herrschaftsfrei verwalten ließe ist eine trügerische, so fürchte ich.

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