Gelesen: Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach

Normalerweise fühle ich mich in einem Roman zuhause wie in einem Netz: Personen und Handlungsstränge (davon gerne auch mehrere) sind miteinander verknüpft, können sich so im Axonengeflecht meines Hirns einnisten. Der letzte von mir gelesenen Roman von Erwin Einzinger ("Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik") war eine Strickleiter. Ich träger Geist habe zwar etliche Seiten gebraucht bis ich akzeptieren konnte, dass es hier nur vorwärts (oder aufwärts?) geht, aber danach war es leicht und angenehm.

Dieses Buch ist anders. Es startet als Strickleiter, die sich plötzlich in sich selbst kräuselt und auf einmal klebe ich an der Rückseite des siebzehntletzten Absatzes, wie bei einem Möbius'schen Band. So spannt das Buch ein sehr, sehr weitmaschiges Netz das mir beim Lesen viel Konzentration abverlangte, warum auch nicht.
Ich bin Ubahnleser, das heißt mein Lesevergnügen geschieht hauptsächlich während der Fahrt in die und von der Arbeit, jeweils eine knappe halbe Stunde. Da kann sich eine umfangreiche Lektüre schon über ein paar Tage hinziehen. Da war es wirklich nicht einfach, die flatterhaften, dünnen und dann doch meist nur absatzlangen Handlungsstränge zu sortieren. Aber das ist ja auch nur ein Nebenschauplatz. Dieses Buch meistert die vielen Nichtigkeiten von Alltagen spielerisch; wer auf die große Pointe wartet, der wartet auf Godot, aber weiß dafür vieles über den nackten Baum, den darauf sitzenden Raben, den aus dessen Schnabel hängenden Regenwurm und was dieser zum Frühstück hatte.

Aber dieses Buch ist nicht nur Fiktion, viele der Nichtigkeiten kommen mir bekannt vor — sind es Details aus Zeitungsartikeln, oder bilde ich es mir doch nur ein? Das Spiel mit Erinnerungsfetzen, und wo beginnt das Ausgedachte, das ist reizvoll, genauso wie eben im Unterhaltungsmusikgeschichtchenbuch.

Ich hoffe, es ist gestattet, eine kleine Kostprobe zu geben – für mich einer der schönsten Knoten des Buches:

Der Weg von Mitz jedenfalls führte schon nach kurzer Zeit weg aus der Mühle in Burgund, in der sie bei einem seltsam weltfernen Träumer Unterschlupf gesucht und gefunden hatte, und eines Tages beschloß sie plötzlich und für alle überraschend, statt ihr mehrmals unterbrochenes Studium wieder aufzunehmen, wie sie es zunächst geplant hatte, sich lieber im neuen Rumänien ein wenig umzusehen. Eine ihrer Freundinnen, von den meisten nur Weißbäuchlein genannt, wollte sie dabei begleiten, samt Hund namens Asfinag.

Ein Hund namens Asfinag. Wie geil ist das denn, wie man heute so sagt, warum auch nicht.

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