Liberaler Tafelrundenfeminismus

Gerade auf Twitter gesehen, es gibt eine "Liberale Tafelrunde" — wie schön, unser Land kann jede liberale Regung gut brauchen. Erster Artikel, Thema Quotenregelungen, ein sehr emotionales Thema. Erster Absatz des Artikels:

Quotenregelungen. Der Inbegriff einer bevormundenden, alles regulierenden Instanz. Das perfekte Feindbild – und ein Teil der Liberalen spuckt Gift und Galle über die Anmaßung dieser Einmischung. Doch während sie geifernd im Dreieck springen, frage ich mich worum es hier überhaupt geht.

Es beginnt also mit unfeiner Ironie und der Feststellung, dass Andersmeinende wohl Rumpelstilzchen sind; nicht gerade ein guter Einstieg in einen Diskurs. Aber noch ist nicht viel gesagt.
Weiter geht es mit der kurzen Erwähnung einer Studie zu männlichen Vornamen und Frauen als Top-Führungskräfte in amerikanischen Großunternehmen sowie der Quote für deutsche Großunternehmen. nach einem Satz mit Information folgt die nächste Polemik:

Aus der Ecke der Konservativen, Marktradikalen und Libertären hört man es auch sogleich schon von weitem Schreien, wie ungerecht diese böse, vom Genderwahn zerfressene Welt doch ist.

Hier wären ein paar Quellenangaben fein. Und zwar wenigstens moderat seriöse quellen, keine anonymen Forenpostings oder Blogeinträge emotional instabiler Menschen. Ich kann mich jedenfalls an keinen einzigen Text erinnern, wo ein entsprechendes Zitat ("eine böse vom Genderwahn zerfressene Welt")  wenigstens einigermaßen anwendbar wäre.

Ganz vorne steht natürlich der Schrei nach Qualifikation statt Geschlecht.

Interessante Aussage über diesen Schrei, der da ganz vorne steht. Schlimm? Ist das nicht das Wesen der Gleichberechtigung? Tatsächlich war dieser Schrei fast seit Anbeginn der Geschichte ein wichtiger, weil ein Geschlecht (das männlich nämlich) über Qualifikation gesiegt hat. Und nun ist dieser Grundsatz etwas Böses? Zumindest wird das hier suggeriert.

Wir kommen der Sache näher:

Dies offenbart demnach ein Weltbild in welchem Frauen und Männer sich (genetisch bedingt) so stark unterscheiden, dass Frauen nicht intelligent genug und/oder weniger gewillt sind höhere Positionen zu bekommen. Daraus ergibt sich dann ohnehin ein gottgegebener geringer Frauenanteil in Führungspositionen. Naja, allen ihr Weltbild.

Wenn man den ironischen Ton abermals weglässt, bleibt eine subtile Manipulation: Mit der durchaus interessanten und diskussionswürdigen Frage "Sind Frauen in gleichem Maße wie Männer gewillt, Führungspositionen anzustreben?" werden unschöne Assoziationen geknüpft: Diese Möglichkeit eines geringeren Führungsanspruchs sei dann ja wohl biologistisch determiniert, und wenn wir schon dabei sind, meinen diese Menschen wohl auch, Frauen seien von Natur aus weniger intelligent. Das wird unterstellt.
So, da kann man nur seine Arme ausstrecken und alles abstreiten. Aber nein, die Möglichkeit, dass Frauen tatsächlich – aus gesellschaftlicher Konvention heraus – weniger Ehrgeiz für eine Führungskarriere aufbringen, das ist ein interessantes Thema. Sehr viel Forschung oder zumindest Umfragen ist aber nicht zu finden.

Weiter unten im Artikel wird das Beispiel NEOS erwähnt: Leider nur 20% der Bewerbungen für die Wahlliste waren Frauen, auf die Liste kamen dann aber 40% — ist das "strukturelle Benachteiligung" (siehe Absatz "Wir haben derzeit eine Männerquote")?

Aber das ist das schöne Beispiel für eine tatsächlich sinnvolle Anwendung einer Quote: Wenn Teams oder Unternehmen oder sonst jedwede Organisationen zur Überzeugung gelangen, dass Vielfalt, in dem Fall beim Geschlecht, etwas Gutes ist und das selbst anstreben. Das kann eben eine Partei sein, die trotz weniger weiblicher Mitgliedern an der Basis viele Frauen in die Listen wählt, oder eine IT-Firma, die gerne Technikerinnen in den Teams hätte, oder auch eine Volksschule, an der sieben Frauen und kein Mann unterrichten und versucht einen männlichen Lehrer ins Kollegium zu bekommen.
Diese Überzeugung ist es, die zur bestehenden iuristischen Gleichberechtigung eine wirkliche macht. Das wäre der liberale Weg, Frauen von der Basis an nicht nur zu bemächtigen sondern auch zu motivieren, Macht auszuüben. Ungeschminkt, darum geht es.

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