Ost-West Propaganda
Seite 4 der heutigen Presse Ausgabe: "Putins Propaganda-Walze".
Die Ukrainekrise ist einer der Reibesteine des etablierten Journalismus mit seiner Leserschaft. Da wird von wirren Verschwörungstheoretikern, Trollen, bezahlten Kampfpostern auf der einen Seite, von der Lügenpresse und Mainstream ohne Recherche auf der anderen Seite geschimpft.
Was die Mehrheit der Menschen von den Medien lediglich will, wäre eine ausgewogene Berichterstattung. Dazu gehört, Schwarzweißmalerei zu vermeiden, und Wer-nicht-für-mich-ist-ist-gegen-mich Rhetorik. Aber davon ist leider in unseren Leitmedien wenig zu lesen. Aus dem Artikel:
Seit der Kreml vor einem Jahr seinen Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, schießt die russische Propaganda im In- und Ausland aus allen Rohren. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen, Putins Agitationssender „Russia Today“ verbreitet krudeste Verschwörungstheorien, seine fünfte Kolonne im Westen plappert die russische Desinformationshappen nach.
Für einen Kommentar in Ordnung. Aber ein Informationsartikel zum Thema Außenpolitik ist die Wortwahl ("die Propaganda schießt aus allen Rohren", "Agitationssender", "krudeste Verschwörungstheorien" – wieder einmal, "fünfte Kolonne") unangebracht. Wie können sich die Medien da wundern, wenn bei den Lesern kein Gefühl von Objektivität aufkommt, sondern der von Gegenpropaganda?
Eine Seite weiter gibt es den Artikel "Bollwerk gegen den Kreml"; es geht um die Moskauer Zeitung "Nowaja Gazete" und deren wirtschaftliche Probleme. Im Gegensatz zur "Glosse" davor (siehe oben) gibt es hier tatsächlich interessante Informationen, beispielsweise dass Anna Politkowskaja für diese Zeitung gearbeitet hat. Daran merkt man schon, dass diese Redaktion tatsächlich keine Wohlfühlzone ist.
Aus österreichischer Sicht humorvolles kommt dann aber auch, wenn nämlich die Geissel der 4. Staatsmacht, Medien am Gängelband der Staatsmacht, beschrieben werden — im schlimmen Russland:
Auf den ersten Blick sieht die Zeitungslandschaft Russlands blühend aus: „Etwa 40.000 Zeitungen gibt es“, erklärt der stellvertretende Chefredakteur der „Nowaja“, Andrej Lipskij. „Aber der Löwenanteil daran ist staatlich. Vor allem in den Regionen haben viele Zeitungen winzige Auflagen und werden aus dem Futtertrog der örtlichen Macht verpflegt.“ Voraussetzung ist oft ein Vertrag zwischen Redaktion und dem Bürgermeister oder Gouverneur über „Informationszusammenarbeit“: Geld gegen PR-Texte. „Da zeigt eine Ausgabe dann fünf bis sieben Fotos des Gouverneurs“, sagt Lipskij, „der mal Kinder streichelt, mal Tauben füttert oder Traktoren übers Feld lenkt.“
Da drängen sich schon witzige Parallen zu unsereins hierzulande auf: AK-Zeitungen mit Bild des AK-Scheffs auf fast jeder Seite, durch großzügige Inserate staatlicher, halbstaatlicher, kommunaler und halbkommunaler freundlich gestimmte Wahlkampftexte und so weiter. Ob der lokale Hundestreichler auch Tauben fütterte weiß ich nicht. Auch nicht, ob ein gewisser Gouverneur auch Traktoren chauffiert oder sich doch nur in Gummistiefeln in Druck und Fernsehen präsentiert. Jedenfalls — die Mediokratie, auch im Westen nichts neues.
Selbstreflexion und weniger Aggression gegen Abweichler würde dem Journalismus hierzulande gut tun. Dann hätten krude Verschwörungstheoretiker, Trolle und bezahlte Kampfposter weniger Boden. Und weniger oft Recht (Gladio, Globale Überwachungsaffäre, Verbindung deutscher Leit-Journalisten zur NATO).