Steueroasen und Steuerparadiese

 

Zur Zeit sind Steueroasen und Steuerparadiese sehr stark in den Medien präsent. Meistens geht es um mehr oder weniger legal beschaffte Daten von Menschen und Unternehmen, die ihr Geld dahin geschafft haben, und wie man diese Umgehung von nationaler Steuerhoheit bekämpfen kann. Dieser Kampf ist auch sehr wichtig, aber ich finde bereits die Begriffe "Steueroase" und "Steuerparadies" von zweifelhafter Aussagekraft.
Was ist eine Oase? In einem großflächigen Gebiet, einer Wüste (man sieht in seiner Vorstellung trockene und lebensfeindliche Sandwüsten) sprudelt unverhofft Wasser und ermöglicht den Wüstenbewohnern erst das Leben. Die Assoziation in der Finanzwelt: Die Besteuerung in "normalen" Demokratien ist die Wüste, der Staat trocknet mit hoher Steuerlast alles Leben aus, und nur durch ein paar "rebellische" Oasen ist Leben in dieser Umgebung überhaupt erst möglich.
Die Realität ist freilich eine andere. Erst Demokratien wie wir sie in Europa (und auch in den USA) haben und die dazugehörenden Steuergesetze ermöglichten und ermöglichen das Leben in Wohlstand wie wir es kennen. Nur der Rechtsstaat und der Sozialstaat (mehr oder weniger stark) schafft die Sicherheit für alle, in der auch Leistung belohnt wird; Leistung und nicht Gewalt.
Wenn nun durch Skaleneffekte der Wirtschaft einige sehr Erfolgreiche die Möglichkeit geboten wird, superreich zu werden, so ist ihnen diese Möglichkeit nur durch den modernen Staat gegeben. Und dieser benötigt seinen Anteil, egal ob aus einem breiten Mittelstand oder Finanzelite. 
 
Das Argument, dass Superreiche ohnehin sehr sehr viel Zahlen, und es nur ungerecht sein könne, zig Millionen (oder gar Milliarden im Laufe eines Lebens) an den Staat abzuführen, zieht somit moralisch nicht. Ob nun eintausend Kleinunternehmer jeweils zehntausend Euro im Monat zahlen, oder der Besitzer einer Handelskette zehn Millionen spielt für die Aufgaben des Staates keine Rolle. Er braucht das Geld, und mit seinen Aufgaben sorgt er dafür, dass der Handelskettenbesitzer seine Strukturen aufbauen kann, um zu solcher Größe zu gelangen.
Wie gesagt, das alles im Kontext eines Rechtsstaats. In einer Gesellschaft in der das Faustrecht zählt, braucht er natürlich die staatlichen Strukturen nicht. Das wird sich vielleicht manch einer der Elite insgeheim wünschen (das ist wohl mit dem Begriff "Oligarch" verbunden), aber das laut auszusprechen getraut sich zum Glück noch niemand. Hoffen wir, dass es nicht so weit kommen wird.
 
Somit ist ein Kleinstaat, der einer kleinen Oberschicht das Verstecken ihres Reichtums ermöglicht keine Oase, er ist eine Steuerstaumauer, ein hässlicher grauer Betonklotz, der das Geld hortet und nichts durchlässt, und damit das Land unterhalb austrocknet und zur Wüste werden lässt. Und die erzeugte Energie dient auch nicht der Gesellschaft, sondern zur verschwenderischen Erhaltung einiger grüner Flecke in der Wüste — da sind sie wieder, die Oasen.
 
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