Vertragssicherheit bei Staatsverträgen
Auf ZDF Info lief gerade die Dokumentation "Surviving Progress — Endstation Fortschritt". Thema dabei sind Zusammenhänge zwischen Finanzkrise, wirtschaftlichem Wachstum, Ungleichverteilung von Reichtum, Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und Menschen. Es kam auch die internationale Entwicklungshilfe zur Sprache. Diese Thematik hat in den letzten Jahren des öfteren meinen Weg gekreuzt (Bücher von Leopold Kohr, der Film "Let's Make Money", Die Bücher "Debt, the First 5000 Years" von David Graeber oder zuletzt "Confessions of an Economic Hit Man" von John Perkins); immer in einem negativen Kontext: Westliche Organisationen – Regierungen, Realwirtschaft und Finanzindustrie gemeinsam – leihen einem unterentwickelten Staat Geld, angeblich oder auch wirklich gut gemeint zur Hilfe. Bekanntermaßen ist diese Hilfe oft wenig wirksam. Teile versickern in korrupten Strukturen der Entwicklungsstaaten, Teile gehen zurück an die Wirtschaft der Geberländer.
Nun, diese korrupten Regierungen gehen irgendwann, werden vielleicht durch Besseres ersetzt, oder auch durch Schlimmeres. Was bleibt sind die Schulden. Nachhaltiges ist mit dem geborgten Geld nicht passiert, die Zinszahlungen führen in die endgültige und totale Abhängigkeit der Geldgeber. Als Begründung, als moralische Begründung, wird darauf gepocht, dass es gültige Verträge gibt, und Schuld muss eben beglichen werden.
David Graeber fragt in seinem Buch ganz provokant: Muss das so sein? Müssen Schulden tatsächlich beglichen werden? Meiner Meinung nach: Es kommt darauf an, auf die Vertragspartner. Eine Privatperson kann einen Kreditvertrag abschließen und damit ein Haus kaufen. Das Haus ist dann vermutlich mit einer Hypothek belastet, aber der Kreditnehmer weiß hoffentlich was er tut, hat genug genug geplant und kann die Kreditraten zurückzahlen. Falls nicht, wird er das Haus vielleicht verlieren, aber mit dieser Art der Eigenverantwortlichkeit fühle ich mich noch recht wohl.
Was aber wenn nun Lenker von Organisation, allen voran von staatlichen oder halbstaatlichen Organisationen, Politiker, solche Verträge unterschreiben? Diese Verträge haben vorerst Einfluss auf die (in Demokratien) wahlberechtigte Bevölkerung; das bedeutet, dass diese auch den Politikern oder von diesen eingesetzten Geschäftsführern eine gewisse Vollmacht erteilt hat. Je länger diese Verträge aber laufen, desto mehr verblasst diese Vollmacht und desto schwächer wird die Verantwortung der betroffenen Bevölkerung. Wenn der Vertrag gar Generationen überdauert, was ist dann die Legitimation dafür? Darf sich eine Bevölkerung auf Kosten ihrer Nachkommen bereichern? Meiner Meinung nicht, auch wenn es immer so gemacht wurde. Bei der Ausbeutung natürlicher Rohstoffe ist es ähnlich und vielleicht noch fataler, da unumkehrbar. Aber auch das Abschließen von langfristigen Staatsverträgen ist moralisch fragwürdig und anfechtbar. Das gilt für den afrikanischen Durchschnittsdiktator genauso wie für Staatsbahnen, die ihren Mitarbeitern einen Frühpension in noch ferner Zukunft vertraglich zusicherten. Auch hier verstehe ich die Mitarbeiter, denen etwas versprochen wurde, aber es ist meiner Meinung ein unlauterer Vertrag, wenn eine Vertragspartei die Konsequenzen von für sie schlechten Bedingungen nicht selbst tragen muss.
Was ist die Konsequenz daraus? Meiner Ansicht sind Staaten bzw. dessen Vertreter nur bedingt geschäftsfähig. Je länger sich Ratenzahlungen, Nutzungsrechte für Rohstoffabbau und ähnliche Vorteile hinziehen, desto (moralisch) fragwürdiger ist die Legitimation der Unterzeichner. Die Bevölkerung, vor allem die zukünftige Bevölkerung, muss vor Verträgen zu ihrem Nachteil geschützt werden.