Was ist Kunst?

Wenn Schüler Philosophieren

Vor 40 Jahren, in der Oberstufe des Realgymnasiums, begab es sich des öfteren, dass wir Schüler gemeinsam mit den Lehrern einen Diskurs zum Thema „Was ist Kunst?“ führten. Ein Mitschüler, von mir retrospektiv immer mehr geschätzt, hatte den klaren Standpunkt „Kunst kommt von Können“. Dieser Standpunkt wurde, ich sag inzwischen: erwartungsgemäß, vom Großteil der Lehrerschaft bestritten. Auch wenn ich der Aussage im Prinzip zustimmte, hab ich „Kunst“ trotzdem nicht als handwerkliche oder geistige Fertigkeit verstanden, sondern dieses Können eher als humanistisches „ich kann weil ich bin“.

Was für ein Theater! „Performance“–Kunst

Die Frage, die sich danach anschließt, ist aber die, welche Aufmerksamkeit welcher Kunst verschafft wird, welche Ressourcen man ihr zur Verfügung stellt. Über die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte war die Förderung und Entwicklung der Kunst Sache der Mäzene. Dies waren gute oder böse Menschen, meistens aber reiche. Nur hin und wieder haben sich demokratische Elemente in diesem Markt stark gemacht, 1 meistens kamen die Aufträge aber aus einem Herrscherhaus.

Parlamentspräsident Sobotka mietet Goldenen Flügel für das Parlament:right
Die Herrschenden bestimmten damit in Folge auch den Geschmack und den Zeitgeist der Kunst.
Zu den Herrschenden in einer modernen Wahldemokratie2 gehören zweifelsfrei die Parteien. Somit sind es Parteien, die zu einem großen Teil die Verantwortung haben, wie sich Kunst hier und jetzt zeitgenössisch gestaltet.

Deutschland, das immer schon einen gewissen Hang zum Extremen hatte, zeigt den Trend: Was in diesem Video zu sehen ist, kann man nur bezeichnen als „kann fast nix, will aber alles“. So etwas auf einer wichtigen Parteiveranstaltung zu buchen ist ein Symptom kultureller Anämie …

(Die „Schlangenknaben“ auf der 2. Queerpolitische Menschenrechtskonferenz der SPD-Bundestagsfraktion, https://www.spdfraktion.de/queerrights24)

Ob dieses Theater engagiert wurde, um Kunst zu zeigen? Es macht nicht diesen Eindruck. Wie meist, wenn eine pseudodemokratische Führungsschicht sich um Kunst bemüht, ist es weder Kunst zur Unterhaltung der Menschen, auch nicht zur Reflexion, noch ist es gar Kunst um der Kunst willen: Es geht um Erziehung.

Aus Alt …

Neptun Brunnen im Schloss Schönbrunn:left
Wien hat ein schönes Schloss, das den schönen Namen „Schönbrunn“ trägt. Man kann also davon ausgehen, dass es dort einen schönen Brunnen gibt — und tatsächlich kann man im Schönbrunner Schlosspark mehr als einen schönen Brunnen sehen. Der Neptunbrunnen wurde 1780 fertiggestellt, und man kann ihn durchaus als gelungenes Kunstwerk betrachten.

In Wien gibt es weitere schöne Brunnen.

Was haben die alle gemeinsam?

Sie sind alt.

Die meisten von ihnen sind zur Zeit des Feudalismus entstanden, als die Mittel der Herrschenden von den Mitteln des Staates kaum zu trennen waren. Die Kaiser und Fürsten und Barone und Freiherren ließen sich bauen was ihnen gefiel. Die Kosten spielten dabei wenig Rolle. Und auch die ersten erfolgreichen Kapitalisten zeigten ihren Erfolg auf diese Weise.

… Mach Neu

Danach kam eine Zeit der rationalen Demokratie. Es war nun opportun, mit den Mitteln des Volkes sparsam umzugehen. Deshalb ist die Kunst, so wie auch die Bauwerke, etwas weniger prächtig.

Inzwischen sitzen die Parteien so fest im Sattel, dass sie ihre Mittel wieder wenig von denen des Staates unterscheiden.

Jubiläumsbrunnen in Wien Favoriten:right
Die neueren Brunnen in Wien haben einen völlig anderen Charme. Sie sind modern, so wie das Betonmonument „Jubiläumsbrunnen“ in Wien Favoriten. Die Kosten spielen wieder wenig Rolle. Offensichtlich konnte sie jemand bauen, also sind auch sie Kunst. Aber sind sie ein gelungenes Kunstwerk? Die schaffenden Künstler, modern „Kollektiv“ genannt, sind jedenfalls auch gute Darsteller, die es beherrschen, gut aufzufallen.

Warum dann Kunst?

  • Zur Schau stellen von Können
  • Innerer Antrieb etwas zu schaffen
  • Eigenen Reichtum durch Kunst darstellen
  • Zum Nachdenken anregen
  • Andere Menschen erziehen
  • Schönheit zeigen

All dies ist zutiefst menschlich. Wie so oft liegt die Vermutung nahe, dass eine Mischung aus ein paar Motivatoren zusammen „gute“ Kunst herstellt. Was ziemlich sicher ist, der letzte Punkt allein schafft mickrige Kunst.

Politische Kunst

Je mehr Menschen an Kunst beteiligt sind, ob als Produzenten oder Konsumenten, desto politischer wird sie. Die auf Gesellschaftspolitik abzielende Kunst ist eine Nische, die auch gut bedient wird. Der oben abgebildete Jubiläumsbrunnen ist das Werk des Künstlerkollektivs mit Namen „Gelitin“ (früher „Gelatin“). Die Werke der Gruppe lassen sich als politische Kunst qualifizieren, aber auch ein gewisser Unterhaltungswert lässt sich nicht abstreiten.

Es ist unterhaltsam, egal was dran ist, oder auch rein fantasiert. Hier etwa spinnen sich feine Fäden vom Favoritner Brunnenmonster zu 9/11, Falter, Standard… Lesenswert zum Staunen — das ist es ja schließlich, was Kunst auch erreichen will.

9/11 and the Israeli Bomb Expert Infiltrated Art Groups: GELATIN (demo wiring team) and E-TEAM (sol-gel team)

Das Kunstbuch war für Mäzene gedacht,

Gelatin: The B-Thing at amazon.com

inzwischen, gibt es das Werk aber auch billiger:

Gelatin: The B-Thing at Salon Art Kunstbuch

Moukthar Kocache, Direktor des LMCC, das den Kunstaktivismus im WTC koordinierte schrieb dazu die Fragen auf, die uns schon als Schüler interessierten:

I feel like the representative of "unofficial" art at this Symposium, not only because of the nature and the value of the art that I will talk about, but also because of the context and framework in which it was made. In fact, what I would like to do tonight is reexamine or, perhaps, expand our notions of loss or what was lost on September 11th, and in so doing, explore our notions of what the purpose of art is; its value, or its use. What is cultural production? What is visual culture? What is an artist? Who is an artist? What is an art experience? I will try to do that by illustrating some of the projects that were executed during the Lower Manhattan Cultural Council's (LMCC) artist residency program in the WTC.

Beantwortet werden diese Fragen nicht. Kunst ist ein durch den Menschen definiertes System, das Vorhandensein von Menschen erzeugt bereits Kunst, und deshalb lässt sich deren Vorhandensein, oder ihre Abwesenheit, so wenig beweisen wie die Existenz Gottes.

Eines kann man aber ohne viel Bedenken sagen: Jeder Zeit ihre Kunst.


  1. Entgegen dem was viele meinen, war Mozart der Außenseiter des Pöbels, der in Schikaneders volksümlichen Opernhaus Erfolge bei der Bevölkerung feierte, während der Hofkomponist der Habsburger, Salieri, dem Hochadel gefiel.
    Die Welt der Habsburger: Mozart gegen Salieri 0:1 – musikalischer Wettstreit am Kaiserhof ↩︎

  2. (https://www.demokratiezentrum.org/wp-content/uploads/2022/10/rosenberger_wahldemo.pdf↩︎

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